Nachschlag zum Februar-Newsletter
Nachschlag zum Februar-Newsletter
(Anmerkung vom 5. Juni 2024) Vorab dieses Zusatzes zu unserem Newsletter wollen wir klarstellen, dass sowohl der Newsletter als auch dieser Nachschlag in ihrer Kombination ein Meinungsbild der Kulturkosmos Crew abbilden, nicht aber die Meinung unseres Netzwerkes oder unserer Mitarbeitenden wiedergibt. Diese nicht getroffene Differenzierung war ein Fehler, wofür wir uns entschuldigen.
Darüber hinaus gilt auch hier, wie bereits in unserem Februar-Newsletter erklärt: nicht alle hätten alles so geschrieben wie es jetzt hier steht, aber bei allem Respekt den wir gegenseitig für verschiedene Meinungen in unserer Gruppe haben, stehen wir dazu, diesen Text gemeinsam veröffentlicht zu haben.
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Dieser aktuelle Text zu unserem Newsletter ist keine Antwort auf den Fusion Boykottaufruf und offenen Brief, der diese Woche von Palästina Spricht veröffentlicht wurde. Es ist vielmehr der aktuelle Stand unserer Diskussion und Reflektion der letzten Wochen zu den Reaktionen und Kritiken auf den Newsletter.
Mit diesem Statement möchten wir den Newsletter vom Februar 2024 um einige zusätzliche Gedanken ergänzen.
Wir stehen nach wie vor hinter den wesentlichen Inhalten des Februar-Newsletters und betonen die Bedeutung der darin formulierten Erwartungen an alle Fusionist:innen, damit wir Ende Juni gemeinsam, achtsam und respektvoll feiern können.
Inzwischen haben wir jedoch erkannt, dass wir noch stärker auf die Schaffung eines gemeinsamen, diskriminierungskritischen Raums achten müssen, in dem Jüd:innen, Muslim:innen, Palästinenser:innen und Israelis sich möglichst sicher und willkommen fühlen können. Hier wollen wir auch unsere Strukturen noch nachjustieren, sowohl im Sinne eine Sensibilisierung unserer Security als auch einer Erweiterung unserer Awarenessstruktur.
Neben viel Zuspruch aus unserem Umfeld, haben wir zu dem Newsletter vor allem von uns nahestehenden palästinensischen und solidarischen jüdischen und arabischen Fusionist:innen auch Unverständnis, Enttäuschung und Kritik erhalten. Viele von ihnen sehen sich durch den Newsletter ausgeschlossen oder nicht mehr willkommen. Das trifft uns sehr, da die Fusion seit Jahren von vielen Menschen in der palästinensischen Community als Homezone verstanden wurde, wo Menschen aus Israel/Palästina sich willkommen fühlen konnten. Hier war das Thema Palästina präsent, es wurde jahrelang z.B. im Arab* Underground verhandelt, wo auf Basis gemeinsamer Werte auch gemeinsam mit jüdischen Allies zusammengearbeitet wurde. Kunst und Kultur aus Israel und Palästina war in den vergangenen Jahren immer Teil unseres Programms.
Gerade jetzt, in einer Zeit da viele kulturelle Institutionen in Deutschland, angesichts der staatlichen Repression gegen israelkritische Positionen unter Antisemitismusverdacht gestellt werden und kritischen Stimmen aus Angst, keine Plattform mehr geben; wo der politische Mainstream vermeintlich im Namen des Schutzes jüdischen Lebens die Grenzen der Debatte diktiert, sehen wir es um so wichtiger auch weiterhin palästinensischen Stimmen Raum auf der Fusion zu geben.
Wir wollen nicht zulassen oder dazu beitragen, dass Antisemitismus und anti-muslimischer, anti-arabischer, anti-palästinensischer Rassismus auf Kosten dieser vulnerablen Communities gegeneinander ausgespielt werden.
Die verschiedenen Rückmeldungen zu unserem letzten Newsletter haben uns veranlasst, einige Punkte klarzustellen und zu ergänzen. Im Gespräch kamen neben verschiedenen Kritikpunkten immer wieder zwei Themen zur Sprache.
Zum einen wird uns vorgeworfen, dass wir nur zwei rote Linien gezogen haben. Einmal, dass nicht verhandelbare Existenzrecht Israels und einmal die Verherrlichung oder Unterstützung der Hamas.
Viele vermissten zu Recht eine dritte rote Linie, die den Krieg in Gaza als Völkermord und die israelische Besatzungspolitik als Apartheit benennt mit einer klaren Abgrenzung gegen all diejenigen, die dies unterstützen, negieren oder verharmlosen. Hier haben wir uns tatsächlich einseitig abgegrenzt.
Wir haben uns im Newsletter gescheut, die Begriffe „Völkermord“ und „Apartheid“ selbst zu verwenden, sehen aber inzwischen, dass wir hier bei aller Kritik, die wir artikuliert haben, falsche Rücksicht auf deutsche Befindlichkeiten genommen haben, die dem, was in Gaza und dem Westjordanland geschieht, nicht gerecht wird.
Wir sehen diese Zurückhaltung in der Benennung dessen was real passiert inzwischen als Fehler.
Ein weiterer zentraler Kritikpunkt war, dass das nicht verhandelbare Existenzrecht Israels, so undifferenziert und plakativ, wie es aus unserer Deutschen Perspektive geschrieben wurde, das Existenzrecht eines Palästinensischen Staates defacto ausschließt.
Die Realität sieht ja so aus, dass die israelische Politik offensiv einen jüdischen Nationalstaat „from the River to the sea“ proklamiert. Diese zionistische Großisrael-Politik muss bezogen auf Gaza und das Westjordanland defacto als Siedler-Kolonialismus benannt werden. Seit Jahrzehnten werden Palästinenser:innen systematisch brutal unterdrückt und wird jegliche Perspektive zur Schaffung eines souveränen palästinensischen Staates oder einer israelisch/palästinensischen Ein-Staat-Lösung, mit gleichen Rechten für Alle, sabotiert. Ohne Gleichheit und Gerechtigkeit für alle Menschen in der Region wird es aber keinen Frieden geben.
Von daher ist für viele palästinensische Fusionist:innen die Anerkennung dieses nationalistischen israelischen Staates problematisch und sie können dies, zumindest so, wie wir es gefordert haben, nicht teilen. Wir sollten dies respektieren, nicht nur angesichts des über 230 Tagen andauernden traumatischen Krieges und der wahnsinnigen Wut und Trauer, die sie empfinden.
Wir aber haben sie in unserem Newsletter auf die andere Seite unserer roten Linie gestellt. Dies war nicht unsere Absicht, aber um diesen Fehler zu erkennen, brauchte es erstmal einen Perspektivwechsel.
Es war uns wichtig, unsere Erkenntnis zum Thema öffentlich zu machen und wir hoffen, dass dies etwas hilft, die emotionalen Enttäuschungen, die entstanden sind, zu überwinden.
Wir wollen auch noch mal schreiben, dass wir uns angesichts des nicht absehbaren Endes des Krieges und des nicht endenden Leids und Traumas viele Gedanken machen, wie wir hier Ende Juni diese Fusion feiern wollen. Wir verstehen gut, dass es Menschen gibt, die jetzt nicht feiern können. Wir sehen zugleich auch, dass die Fusion ein Ort ist, an dem Menschen den Brainfuck dieser Welt für ein paar Tage in den Schrank stellen, sofern sie das wollen und können. Damit aber alle gemeinsam eine gute Zeit haben, müssen wir alle aware sein und uns gegenseitig respektieren.
Jeder Form von Diskriminierung muss auf der Fusion entgegengewirkt werden, aber dieses Jahr sind jüdische und arabische Menschen besonders vulnerabel und wenn wir für alle hier einen möglichst diskriminierungskritischen Raum schaffen wollen, müssen wir auch gemeinsam wachsam sein, gegenüber antisemitischen und antimuslimischen /antiarabischen/ antipalästinensischen Diskriminierungen. Wir werden daher unsere Security sensibilisieren und unsere Awarenessstruktur aufstocken und hier verstärkt Menschen mit jüdischen und arabisch/palästinensischen Identitäten und Backgrounds einbinden.
Eine weitere Selbstkritik geht dahin, dass wir die beispiellose Einschränkung der Protest-, Rede- und Meinungsfreiheit sowie die zunehmende Repression gegen israelkritische Positionen, Veranstaltungen und Demoteilnehmer:innen mit Erschrecken und Wut zur Kenntnis nehmen, uns selbst aber vorwerfen müssen, als kulturelle Institution zu wenig aktiv geworden zu sein gegen diese krasse Demontage demokratischer Grundrechte in Deutschland.
Wir fühlen uns daher grundsätzlich solidarisch mit denen, die in der Welt ihren Protest gegen den Krieg in Gaza und ihre Solidarität mit dem palästinensischen Volk auf die Straße bringen und dies auch auf der Fusion zum Ausdruck bringen wollen, selbst wenn wir nicht immer dieselben Positionen haben.
Wir wollen zugleich aber nicht die Abladestelle sein für den in den vergangenen Wochen und Monaten erlebten Frust und die aufgestaute Wut.
Niemand braucht eine weitere politische Kampfzone auf der Fusion, in der Menschen sich oder ihre Meinungen gegenseitig delegitimieren.
Lasst uns das Festival nutzen, um Energie zu tanken und Kräfte zu sammeln für die Kämpfe, die uns noch bevorstehen werden. Lasst uns zusammenkommen und gemeinsam feiern, anstatt uns weiter voneinander zu entfernen.
Es wird eine Zeit nach diesem Krieg geben und die Welt wird keine bessere sein. Es stellt sich die Frage, ob oder wie Menschen wieder zusammenfinden und Gräben überwinden können, denn die Kämpfe gegen Ungerechtigkeit und für ein bessere Leben werden weiter gehen!
Die Fusion könnte eine Gelegenheit sein, genau darüber nachzudenken.
Kulturkosmos