Die Evolution der Müllcrew

Wo gefeiert wird, gibt es Müll, und daher gab es auf der Fusion auch immer eine Müllcrew. Wie viele andere Crews haben wir in den vergangenen 20 Jahren eine Entwicklung durchgemacht.

Die frühen 2000er – Jagen und Sammeln

Zeitreise in die frühen 2000er, einige von uns waren bereits damals dabei: Die Fusion war ein kleines Dorf, und wir zogen als Jäger*innen und Sammler*innen über die Floors und durch das Unterholz. Ob Flasche, Dose oder Pappkarton, alles kam in den Müllsack. Die Säcke wuchteten wir auf Anhänger oder Ladeflächen und schließlich in die großen Container. Mülltonnen rollten wir aus dem Knick an die Straße.

Sisyphos‘ Schmuddelkinder

In den folgenden Jahren wuchs die Fusion, mehr und mehr Mülltonnen wurden gekauft, eine Müllabfuhr rumpelte über die Schotterpisten. Und wir hatten irgendwann ein neues Schlachtross im Stall, das unkaputtbare rote Mercedes-Müllmonster, ein unersättliches Arbeitstier, das gigantische Mengen von Müllsäcken wegschafft – bis heute. Dennoch fühlten wir uns manchmal wie die Schmuddelkinder von Sisyphos: Kaum war das Gelände sauber, brach die Nacht an, und am Morgen danach sah es aus wie am Tag davor. Hatten wir es früher mit Müllsackhügeln zu tun, waren es nun Müllberge

Evolutionssprung Müllpfand

Dann kam der Evolutionssprung: Die Erfindung des Müllpfands – anfangs fünf, heute zehn Euro, die an die Gäste gegen einen vollen Müllsack ausgezahlt werden. Die Müllcrew wurde zum Teil sesshaft – in Containern und Holzverschlägen richteten wir die ersten Pfandstationen ein, die Müllzentrale in Container entstand, heute steht er im Backstage-Bereich 1. Nun sammelten nicht mehr nur wir Müll, sondern auch die Gäste. Die Planung der Fusion-Müllaktion begann nun bereits im tiefen Winter, die Vorbereitungsbesuche auf dem Gelände nahmen zu, Schichtpläne wurden geschrieben, Pfandstationen vorbereitet. Während der Fusion selbst gehörte ab sofort das Erklären der goldenen Müllpfand-Regel zu unseren Aufgaben: „Pfand nur für volle Säcke“. Und das Diskutieren: Denn nicht alle Gäste sahen sofort ein, dass sie eine Sammelrunde auf dem Gelände drehen müssen, wenn ihr Sack nur halbvoll ist. Am Ende aber griff sich jede*r ein bisschen Müll, und Gelände und Campingbereich waren sauberer als in den Jahren zuvor. Mit der Fusion wuchs das Pfandsystem: Heute gibt es sieben Müllpfandstationen, an denen mehr als 250 Menschen pro Fusion Schichten schieben – und Zehntausende ihre Säcke abliefern. Waren die großen Container an den Stationen voll, entstand an so mancher Station ein Müll-Everest zwischen Bauzäunen – immerhin besser als verteilt auf dem Gelände.

Schlepper und Lotsen – die Container-Touren

Heute versuchen wir, die großen Container so oft zu tauschen, dass das nicht mehr passiert. Die Lkw der Firma Remondis frühmorgens über das Gelände zu lotsen, auf dem Beifahrersitz oder per Fahrrad –auch das ist unser Job.

Schwer und wertvoll – Glasflaschen zu Dämmstoff

Trotz Pfandsystem sammeln natürlich weiterhin Supporter*innen auf dem Gelände Müll ein – und stoßen bei jedem Schritt auf eine besonders knifflige Zutat des Müllmixes: die Glasflasche. Die Flaschen machten Müllsäcke tonnenschwer oder schlitzten sie auf und vermiesten denen die Laune, die die Säcke einsammelten. Nicht nur um die Rücken der Crews zu schonen, sondern auch die Umwelt, tüftelten wir recht bald an Strategien, so viel Glasmüll wie möglich separat zu sammeln – und Pfandflaschen am besten wieder in den Mehrwegkreislauf zu schicken. Die Mühe lohnt sich auf der Fusion besonders. Der Müllmix ist sehr glaslastig, denn die Gäste dürfen ja ihre eigenen Getränke aufs Festivalgelände mitbringen. Heute sammeln gleich mehrere Crews Glas ein: Die Pfandcrew kümmert sich um die Mehrweg-Flaschen von den Fusion-Tresen, und eine weitere Crew fährt die übrigen Glasflaschen ab. Dieses Bruchglas wird zentral gesammelt und verkauft – als Rohstoff für neue Flaschen oder Dämmstoffe.

Mülltrennung - der ewige Kompromiss

Gar keine Mehrwegflaschen entsorgen zu müssen, soweit sind wir noch nicht. Wir arbeiten dran – sagen aber auch, mit dem Zaunpfahl winkend: Je mehr Gäste ihre eigenen Pfandflaschen einfach wieder mitnehmen, desto besser.

Aber wir wollen nicht lamentieren! Es läuft insgesamt gut, finden wir. In den Backstage-Bereichen wird der Müll schon lange getrennt, und da draußen auf dem Gelände wird es, seien wir ehrlich, immer ein Kompromiss bleiben. Denn die Fusion ist ja keine Mülltrennungsveranstaltung mit Kulturprogramm. Und trotzdem: Während wir Pfandstationen anfahren, Funkgeräte einschalten, Akkus wechseln, RFID-Scanner verfluchen, Müllnester umsetzen, Container erklettern, Wespennester entdecken, Unwetter erwarten und mit vielem weiteren Dingen jonglieren, suchen wir natürlich immer weiter nach guten, festivaltauglichen Ideen zur Verbesserung der Müll-Situation. Wenn ihr den nächsten Evolutionssprung im Kopf habt, meldet euch bei uns.

Eure Müllcrew <3

Müllcrew 2024 in Zahlen (grob geschätzt)

• 25 Menschen im Orga-Team
• 280 weitere Crew-Mitglieder
• 100 Supporter*innen zum Müllsammeln
• 7 Müllpfandstationen
• 12.560 abgesetzte Funksprüche
• 2.390 wiederholte Funksprüche
• 100 Tonnen gesammeltes Bruchglas
• 450 Tonnen abgefahrener Müll
• 264 Telefonanrufe in der Müllzentrale
• 750 Fahrrad-, E-Roller- und Autokilometer der Müllcrew auf dem Gelände
• über 60.000 Müllsäcke, die an der Pfandstation in einen Container geworfen wurden
• 1.000 Müllsäcke, die neben dem Container gelandet sind
• 500 Müllsäcke, die neben dem Container gelandet und aufgerissen sind